Genforschung

Anstieg an Innovationen

Von Nadine Effert · 2025

Endlich wissen, was hinter den Beschwerden steckt: Für Menschen mit einer seltenen Erkrankung ist die Diagnose eine große Erleichterung – insbesondere dann, wenn zudem eine gezielte Behandlung zur Verfügung steht. Bei immer mehr forschenden Pharmaunternehmen steht die Entwicklung von Medikamenten gegen die „Orphan Diseases“ verstärkt im Fokus. Neuester Hoffnungsträger ist zum Beispiel eine Genschere.

Eine Schere, die eine DNA-Doppelhelix zertrennt
Mit einer CRISPR-Genschere können bestimmte Gene ausgeschaltet werden. Foto: iStock / Love Employee

Nach Angaben des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) sind in der Europäischen Union (EU) derzeit 230 sogenannter Orphan Drugs für mehr als 170 „Seltene“ zugelassen. Das heißt: Es gibt aktuell für nur knapp drei Prozent aller bekannten seltenen Erkrankungen eine spezifisch zugelassene Behandlung. Die Erforschung und Entwicklung von innovativen Therapien ist für die zukünftige Versorgung der „Waisen der Medizin“ daher weiterhin von überragender Bedeutung, denn viele seltene Erkrankungen gehen mit starken Einbußen in der Lebensqualität und verkürzter Lebensdauer einher. 

Markteinführungen 

Die Bilanz aus dem Jahr 2024 kann sich sehen lassen: 27 Medikamente haben eine Zulassung erhalten – darunter 18, bei denen die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) den Orphan-Drug-Status anerkannt hat. „Das zeigt das anhaltende Engagement der Branche dafür, dass auch Patientinnen und Patienten nicht unversorgt bleiben, deren Krankheit nicht häufig vorkommt“, resümiert vfa-Präsident Han Steutel. Gleich drei der neuen Medikamente dienen der Behandlung von Menschen mit paroxysmaler nächtlicher Hämoglobinurie (PNH), einer Krankheit, bei der das Immunsystem unter anderem rote Blutkörperchen angreift, und zwei Medikamente bei Myasthenia gravis, die zu Muskelschwäche führt, weil Attacken des Immunsystems die Übertragung von Nervensignalen auf die Muskeln beeinträchtigen.

Gentherapien: Chance auf Heilung

Die gute Nachricht: Derzeit (Dezember 2024) werden rund 2.700 Arzneimitteltherapien entwickelt, die ebenfalls den Orphan-Drug-Status, aber noch keine Zulassung von der EMA erhalten haben. Im Fokus: Gentherapien, mit denen die Ursache einer Erkrankung in Angriff genommen werden kann und somit eine Chance auf Heilung oder zumindest Linderung besteht. „Gen- und Zelltherapien gehören zu den fortschrittlichsten medizinischen Innovationen. Sie bieten in zahlreichen Anwendungsbereichen neue Behandlungsmöglichkeiten für schwere Krankheiten, die bislang kaum oder gar nicht therapierbar waren“, bestätigt Steutel. Die EMA rechnet ab diesem Jahr mit 10 bis 20 neuen Gentherapien pro Jahr. Gut so, denn rund 80 Prozent der Orphan Diseases sind Krankheiten, die auf erblichen Gendefekten beruhen. Zu den sogenannten monogenen Erbkrankheiten zählen beispielsweise die Stoffwechselerkrankung Mukoviszidose und die Spinale Muskelatrophie. Im Fall der neuromuskulären Erkrankung ermöglichen Gentherapien, sofern frühzeitig angewendet, betroffenen Kindern heutzutage ein weitgehend normales Leben. Dank enormen Verbesserungen bei den Therapien ist die Lebenserwartung von Neugeborenen mit Mukoviszidose enorm gestiegen: „Im aktuellen Berichtsband werten wir Daten bis Ende 2023 aus und sehen erstmals mittelfristige Auswirkungen der hocheffektiven Modulatortherapie“, erläutert Prof. Dr. Lutz Nährlich, medizinischer Leiter des Deutschen Mukoviszidose-Registers. „Besonders eindrücklich ist die Entwicklung der durchschnittlichen Lebenserwartung: Sie liegt heute bei 67 Jahren und ist gegenüber dem Vorjahr um sieben Jahre gestiegen.“ Vor 70 Jahren überlebten Säuglinge nur wenige Monate. Neben den hocheffektiven sogenannten CFTR-Modulatoren machen in Zukunft auch bei dieser seltenen Krankheit genetische, aber auch neue symptomatische Therapien noch mehr Betroffenen Hoffnung. 

Genforschung: Fehler im Erbgut beseitigen

Ebenso Hoffnung machen neue Technologien auf diesem Gebiet wie sogenannte Gentaxis, die therapeutische Gene als „Medikament“ in den Menschen bringen, und zwar genau zu den richtigen Zellen, oder die Genschere CRISPR-Cas, mit deren Hilfe defekte Gene gezielt angegangen werden können. Erstmals wurde im Februar 2023 in der EU grünes Licht für die Zulassung einer Gentherapie auf Basis von CRISPR-Cas gegeben – gegen die Sichelzellkrankheit und gegen Beta-Thalassämie. Beide seltenen Bluterkrankungen werden durch Mutationen im Hämoglobin-Gen verursacht und sind schmerzhafte, lebenslange Erkrankungen, die in manchen Fällen tödlich verlaufen können. Bisher konnten nur die Symptome dieser Krankheiten bekämpft werden. Die aufwendige Transplantation von Knochenmark galt als einzige dauerhafte Behandlungsoption. Fachleute sind überzeugt, dass schon in absehbarer Zeit immer mehr erblich bedingte Krankheiten mit der Genschere zielgenau bekämpft und manche sogar geheilt werden können. Derzeit befinden sich zahlreiche Projekte in unterschiedlichen Phasen der klinischen und vorklinischen Erprobung.

Schon gewusst?

Damit ein Medikament von der EMA den Orphan-Drug-Status erhält, muss es sich um eine Krankheit handeln, an der nicht mehr als fünf von 10.000 EU-Einwohnenden leiden. Außerdem muss es den bisherigen Medikamenten signifikant überlegen sein, oder es muss an einer zufriedenstellenden Behandlungsoption fehlen. Der Status, durch den Pharmaunternehmen einige Vorteile, etwa Schutz vor Nachahmer-Präparaten, genießen und somit positive Anreize zur Beantragung bieten, läuft regulär nach zehn Jahren ab.

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