Seltene Krankheiten

Auf der Suche nach der richtigen Diagnose

Von Nadine Effert · 2025

Weltweit leiden 300 Millionen Menschen an einer seltenen Krankheit. So gesehen sind die „Seltenen“ insgesamt betrachtet gar nicht so rar. Was Betroffene eint, ist die Tatsache, dass sehr viel Zeit bis zur Diagnose vergeht. Forschende weltweit arbeiten mit innovativen Ideen daran, den langen Weg zu verkürzen.

Eine Medizinerin forscht am Computer; darüber holografische Symbole für Forschung und Digitialisierung
Neue Technologien, wie Gentechnik und KI, bieten Potenzial für eine bessere Diagnostik und neue Behandlungsmöglichkeiten.

Von A wie Akrozephalosyndaktylie über K wie Klippel-Feil-Syndrom bis Z wie Zerebrotendinöse Xanthomatose: Es gibt Leiden, von denen selbst viele Ärztinnen und Ärzte noch nichts gehört haben. Kein Wunder, dass die meisten der etwa 8.000 bekannten seltenen Krankheiten durch das alltägliche Diagnoseraster fallen, indem Symptome falsch gedeutet oder nicht ernst genommen werden. Manche der schätzungsweise circa vier Millionen betroffenen Menschen in Deutschland machen eine wahre Odyssee durch das Gesundheitssystem durch, bevor sie die richtige Diagnose erhalten – manche erfahren nie, was hinter ihren Beschwerden steckt. 

Wichtig bei Seltenen Krankheiten: frühe Diagnosestellung

Bis eine Person mit einer seltenen Erkrankung diagnostiziert wird, dauert es im Durchschnitt fünf Jahre. Dieser lange Weg geht häufig mit Fehldiagnosen einher sowie einer häufig ungenügenden medikamentösen Versorgung. Ein früher Zeitpunkt der Diagnosestellung ist von essenzieller Bedeutung, denn viele dieser Krankheiten sind lebensbedrohlich oder führen zu Invalidität. Zu den seltenen Erkrankungen, die mit zum Teil schwerwiegenden körperlichen und geistigen Einschränkungen einhergehen, zählen zum Beispiel bestimmte Infektionskrankheiten, Autoimmunkrankheiten oder Krebsformen. Das Gros der Seltenen ist genetisch bedingt, daher machen sich viele schon bei der Geburt oder im frühen Kindesalter bemerkbar. Die Genforschung ist somit aber auch der Schlüssel zu ihrem Verständnis und Ausgangspunkt für neue Therapieansätze.

Genetische Daten

Laut einer aktuellen Studie, die im Januar 2025 in „Nature Medicine“ erschienen ist und an der die Universitäten Radboud (Niederlande), Tübingen (Deutschland) und Barcelona (Spanien) beteiligt waren, handelt es sich in über 70 Prozent aller Fälle um genetische Defekte. Das Problem: Sie sind in der Regel von Ärztinnen und Ärzten schwer zu identifizieren. Das soll sich mithilfe des von den Forschenden vor einigen Jahren gegründeten Netzwerks Solve-RD zur Erforschung klärungsbedürftiger seltener Erkrankungen auf Basis der nun durchgeführten Analyse genetischer Daten ändern. Ziel: schnellere und häufigere Diagnosen. Untersucht wurden die Daten von insgesamt 6.447 Menschen mit seltenen Erkrankungen und 3.197 engen Angehörigen ohne Symptome. Bei immerhin 506 Patienten und Angehörigen gelangte das Wissenschaftlerteam zu einer klaren Diagnose. Bei 15 Prozent der Betroffenen ergaben sich daraufhin neue Ansätze für Therapien, schreiben die Forschenden. Geplant ist, über 19.000 Datensätze regelmäßig erneuten interdisziplinären Analysen zu unterziehen.

Neue genetische Erkrankungen 

In der Nutzung einer gemeinsamen Daten-Infrastruktur steckt viel Potenzial – genauso wie dem Hoffnungsträger KI. So ist es dank Künstlicher Intelligenz zum Beispiel einem internationalen Forschungskonsortium, an dem 15 deutsche Unikliniken und die Stellenbosch University in Kapstadt (Südafrika) teilgenommen haben, gelungen, bei 499 Patientinnen und Patienten die genetische Ursache der Erkrankung zu identifizieren. „Besonders stolz sind wir auf die Entdeckung von 34 neuen molekularen Erkrankungen, die ein schönes Beispiel für die wissensgenerierende Krankenversorgung an Unikliniken sind“, sagt Erstautorin Dr. Theresa Brunet vom Institut für Humangenetik des Klinikums rechts der Isar der TUM.

Grafik: Da es mehr als  8.000  unterschiedliche seltene  Erkrankungen gibt, ist die Gesamtzahl der Betroffenen  trotz der Seltenheit der  einzelnen Erkrankungen hoch.

Diagnose per Gesichtsanalyse 

Zusätzlich testeten die Forschenden das KI-System „GestaltMatcher“ erstmals in der Breite. Die innovative Gesichtsanalyse nutzt das menschliche Gesicht beziehungsweise dessen charakteristische Züge als Anhaltspunkt für die Diagnose seltener, sogar bislang unbekannter Erkrankungen – und das mit hoher Treffsicherheit und somit klinischem Nutzen. Dies gelingt, da die den Erkrankungen zugrunde liegenden Erbgutveränderungen sich meist auch zum Beispiel durch anders geformte Augenbrauen oder Wangen äußern. „GestaltMatcher ist wie eine Expertenmeinung, die wir jeder ärztlich tätigen Person in Sekundenschnelle zur Verfügung stellen können“, erklärt Korrespondenzautor Prof. Dr. Peter Krawitz, Direktor des Instituts für Genomische Statistik und Bioinformatik (IGSB) am Universitätsklinikum Bonn (UKB). „Ein unterstützender Einsatz der Software durch Kinderärztinnen und -ärzte könnte bereits bei Auffälligkeiten während der Kindervorsorgeuntersuchungen U7 mit 21 bis 24 Monaten oder U7a mit 34 bis 36 Monaten sinnvoll sein.“

Mehr Therapien nötig 

Die Diagnose ist das eine, eine adäquate Therapie das andere: Gerade einmal für knapp drei Prozent aller bekannten Seltenen steht in der EU laut Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) aktuell eine spezifisch zugelassene Behandlung zur Verfügung – aber immerhin, und es kommen jedes Jahr neue Medikamente hinzu. So profitieren in der Summe eben doch sehr viele Menschen von den Forschungsbemühungen der Pharmaunternehmen in einem Bereich, der aufgrund der sehr geringen Anzahl an Patientinnen und Patienten wirtschaftlich gesehen nicht gerade lukrativ ist. Das Gute: Das Wissen über seltene Krankheiten auf molekularer und genetischer Ebene wächst und treibt die Entwicklung neuer Therapien voran – gepusht von der im Jahr 2000 erlassenen EU-Verordnung, welche die Rahmenbedingungen und Möglichkeiten der Refinanzierung für die Unternehmen verbessert.

Schon gewusst?

In Europa gilt eine Erkrankung als selten, wenn nicht mehr als 5 von 10.000 Menschen das spezifische Krankheitsbild aufweisen. Rund 30.000 Krankheiten sind weltweit bekannt, davon zählen etwa 8.000 zu den seltenen Erkrankungen.

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