Gentherapien

Meilensteine in der Medizin

Von Jens Bartels · 2023

Immer mehr gentherapeutische Verfahren stehen vor einer Zulassung in der EU. Sie könnten gerade für Menschen mit genetisch bedingten Erkrankungen einen Durchbruch bedeuten. Allerdings kostet die Behandlung sehr viel Geld. Deswegen müssen die Verantwortlichen im Gesundheitssystem schon heute Vorbereitungen treffen, damit neue Lösungen nicht nur einigen wenigen Wohlhabenden zur Verfügung stehen.

Reagenzglas und Spritze liegen auf einem Anamnesebogen
Dank Gentherapie: Hoffnung auf mehr Unabhängigkeit für erwachsene Bluter. Foto: iStock / BlindTurtle

Gentherapien zählen in der Medizin zu den großen Hoffnungsträgern. Mit welcher Dynamik neue Erkenntnisse in diesem sich schnell entwickelnden Gebiet generiert werden, zeigt schon die Zahl englischsprachiger Publikationen zu dem Thema. Sie hat sich in den letzten 20 Jahren auf mehr als 35.000 Veröffentlichungen vervierfacht. Dagegen ist die Zahl der von der EU zugelassenen Gentherapeutika aktuell noch sehr gering. Laut dem Paul-Ehrlich-Institut liegt diese Zahl bei 14. Der Grund dafür: Die Entwicklung neuer Gentherapeutika ist kompliziert, teuer und langwierig.

Gendefekt präzise beheben

Grundsätzlich bezeichnet man als Gentherapie die medizinische Methode der Einbringung von Nukleinsäuren (DNA oder RNA) in Körperzellen (Gentransfer), um deren Erbgut zu verändern und somit in erster Linie gezielt genetisch verursachte Krankheiten zu behandeln. Beispiele für Erbkrankheiten, bei denen die Behandlungslösung im Ersetzen eines fehlerhaften Gens im Erbgut durch ein gesundes Gen besteht, sind Chorea Huntington, eine Erkrankung des zentralen Nervensystems, oder die zu Muskelschwund führende spinale Muskelatrophie. Beide Krankheiten können nicht mit klassischen Medikamenten behandelt werden und enden ohne Therapie tödlich. Zu den bekanntesten Gentherapien zählt auch die Behandlung der Bluterkrankheit. Bei dieser Krankheit fehlt dem Körper ein Enzym, das für die Blutgerinnung wichtig ist. Bei der Gentherapie wird das Gen für dieses Enzym in die Knochenmarkzellen des Patienten eingeschleust. Anschließend produzieren die Knochenmarkzellen dann das fehlende Enzym, und Patientin oder Patient kann wieder normal bluten. Auch andere Erbkrankheiten wie die Sichelzellanämie, bei der die roten Blutkörperchen verklumpen und nicht mehr richtig Sauerstoff transportieren, stehen im Fokus neu entwickelter gentherapeutischer Lösungen.

Gentherapien: Großer Einsatzbereich

Der potenzielle Einsatzbereich von Gentherapien als moderne pharmazeutische Therapieform ist jedoch noch umfangreicher und kann sich mitunter auch auf die Behandlung von Krankheiten richten, die erst im Laufe des Lebens entstehen. So wird die Gentherapie derzeit zur Behandlung einer Reihe anderer Krankheiten untersucht, darunter Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder die Alzheimer-Krankheit. Die Ergebnisse dazugehöriger Studien sind vielversprechend, aber es ist noch zu früh, um zu sagen, ob die Gentherapie für diese Krankheiten eine wirksame Therapie sein wird. Klar muss auch sein: Da gentherapeutische Verfahren in erster Linie auf Therapieformen abzielen, die nicht die Symptome einer Erkrankung, sondern die Krankheitsursache selbst behandeln, gehen die potenziellen Einsatzbereiche insgesamt weit über die Behandlungsmöglichkeiten durch die meisten herkömmlichen Medikamente hinaus.

Grafik: Wie funktioniert Crispr/Cas9?

Neue Genschere entwickelt

Zu den herausforderndsten Schritten bei einer Gentherapie zählt die effiziente Einbringung des gewünschten Gens bzw. des Werkzeugs zur Reparatur von Genen in die richtigen Zellen. Diese können direkt im Organismus anvisiert werden. Eine weitere Variante besteht darin, Zellen zu entnehmen und sie nach genetischer Modifikation wieder in den Organismus einzubringen. Ein anderer Ansatz der Gentherapie ist die Korrektur fehlerhafter Gene mithilfe von Genscheren. Die bekannteste Genschere ist Crispr/Cas9. Genscheren können zur Reparatur von DNA-Schäden, zur Entfernung von schädlichen Genen oder zur Einführung neuer Gene in Zellen eingesetzt werden und sind gerade deswegen ein vielversprechendes Werkzeug für die Gentherapie, da sie es ermöglichen, genetische Veränderungen gezielt und präzise zu machen. Ein Team aus Forschenden am Massachusetts Institute of Technology (MIT) um Feng Zhang hat eine neue Genschere entwickelt, die präzise Veränderungen an DNA-Strängen vornehmen kann. Das neue Werkzeug heißt „Fanzor“. Laut Angaben der Forschenden erzeugt Fanzor im Gegensatz zu Crispr/Cas9 keine sogenannten Kollateralschäden. So nennt man es, wenn Genscheren bei der Arbeit auch benachbarte DNA und RNA abbauen.

Ethische Fragen klären

Insgesamt hat die Gentherapie das Potenzial, die Behandlung vieler Krankheiten zu revolutionieren. Allerdings sind noch einige Herausforderungen zu bewältigen, bevor die Gentherapie zum Standard in der Medizin werden kann. Dazu gehört die weitere Entwicklung sicherer Gentherapieverfahren, die Reduzierung der hohen Kosten oder auch die Klärung ethischer Fragen, die mit der Gentherapie verbunden sind. Trotz dieser Herausforderungen ist zu erwarten, dass die Gentherapie in den kommenden Jahren weiter an Bedeutung gewinnen wird.

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