Die Pandemie hat alles verändert

Seltene Erkrankungen werden in der Pandemie übersehen

Von Katharina Lehmann · 2022

Zwei Jahre Coronapandemie: Für Benni Over und seine Familie waren das vor allem zwei Jahre Kampf. Kampf um Masken und Schutzkleidung, um Tests und Impfung – und nun um einen Rollstuhl, den die Krankenkasse nicht bezahlen möchte. Langsam geht dem 31-jährigen an Duchenne leidenden Benni die Kraft aus. Dabei braucht er jetzt Hoffnung und eine Perspektive.

Benni Over im Frühjahr 2016 in der Orang-Utan-Schutzstation auf Borneo
Benni Over im Frühjahr 2016 in der Orang-Utan-Schutzstation auf Borneo

Benni Over ist ein Kämpfer. Als die Ärzte vor mehr als 26 Jahren Duchenne-Muskeldystrophie diagnostizierten, prognostizierten sie eine Lebenserwartung von 18 bis 20 Jahren. Heute ist Benni 31 Jahre alt. Gegen die Krankheit, bei der sich die Muskulatur zunächst im Bewegungsapparat und später auch in Herz und Lunge abbaut, hat Benni immer gekämpft. Im Jahr 2016 überlebte er einen Herzstillstand und eine schwere Lungenentzündung. Seitdem wird er künstlich beatmet. Seit seinem zehnten Lebensjahr sitzt er im Rollstuhl.

Doch Benni hat nicht nur für sich und sein Leben gekämpft. Leidenschaftlich hatte er sich während der vergangenen Jahre für Orang-Utans und die Erhaltung ihres Lebensraums eingesetzt – und damit auch für eine bessere Welt für uns alle. Denn die rothaarigen Primaten leben vor allem in den Regenwäldern Indonesiens, die Stück für Stück für Palmöl-Plantagen gerodet werden. Doch der Regenwald ist nicht nur die Heimat für Orang-Utans und andere Tier- und Pflanzenarten. In den Bäumen und Böden werden große Mengen an Kohlenstoffdioxid gespeichert. Werden sie zerstört, gelangt das Gas in die Umwelt, die Klimaerwärmung nimmt zu. Im Frühjahr 2016 hat Benni die Orang-Utan-Schutzstation auf Borneo besucht. Von seiner Reise und der Bedrohung der Tiere und Regenwälder berichtete er später in Schulen, zeigte in Videos, wie die zurückgebliebenen Tiere in der Schutzstation wieder aufgepäppelt wurden. Vier Jahre später wollte er erneut nach Borneo reisen. Außerdem hatte er 40 Vortragstermine in Deutschland, Österreich und Südtirol – ein voller Terminkalender mit der Aussicht, etwas Gutes zu bewirken. Doch dann kam Corona. Und mit der Pandemie kam der Kampf für die Orang-Utans vollständig zum Erliegen.

Die Pandemie hat alles verändert

„Statt für Orang-Utans und das Klima kämpfen wir seit Beginn der Pandemie für Masken und Schutzkleidung, Tests und die Impfung“, erzählt Klaus Over, Bennis Vater. Das Problem: „Benni lebt nicht im Pflegeheim, er wird zu Hause betreut. Und während Anfang 2021 in den Pflegeheimen schon kräftig geimpft wurde, bekamen wir keinen Impftermin.“ Obwohl Benni bei einer Coronainfektion besonders gefährdet wäre, denn seine durch die Duchenne-Krankheit angegriffene Lunge würde eine Infektion wohl nur schwer überstehen. Außerdem ist fraglich, ob er auf einer vollen Intensivstation überhaupt einen Beatmungsplatz bekommen würde. Aber: „Menschen mit Seltenen Erkrankungen in häuslicher Pflege werden in der Pandemie einfach übersehen und haben bei der Verteilung von Schutzausrüstung und Impfung keine Priorität bekommen“, ärgert sich Klaus Over. Die Overs kämpften weiter, bekamen schließlich für ihren Sohn und sich selbst den lang ersehnten Impftermin – und damit auch ein Stück Normalität zurück. Denn mit Impfung und Test durften dann auch die Physio-, Atem- und Sprachtherapeuten wieder zu Benni, die mit Übungen das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen. Vorher fanden die für Benni so dringend notwendigen Therapien, wo es möglich war, online statt – soziale Kontakte haben die Overs während der ersten Pandemiemonate fast vollständig vermieden.

Viele Kinder in einem Klassenzimmer
Vor Corona kämpfe Benni Over engagiert für den Erhalt des Regenwalds.

Indonesien-Reise bleibt das Ziel

Heute ist Benni geimpft und geboostert und freut sich auf den kommenden Frühling, wenn er sich dank wärmerer Temperaturen draußen, mit Abstand und Maske, wieder mit anderen Menschen treffen kann. Damit er ein Stück weit selbstbestimmt durchs Leben gehen kann, braucht er nun aber einen Elektro-Rollstuhl, den er per Joystick steuern kann. Doch die Krankenkasse will das passende Kindermodell – Benni ist nur 1,29 Meter groß – nicht genehmigen. So kämpfen die Overs weiter – für die Rückkehr in ein normales Leben und einen E-Rolli, aber auch dafür, das Orang-Utan-Projekt wieder aufleben zu lassen und vielleicht schon bald wieder Vorträge an Schulen zu halten. „Benni braucht eine Perspektive. Er würde so gerne noch einmal nach Indonesien reisen“, erzählt Klaus Over.

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