Kopfschmerz

„Es gilt, Verzögerungen bei der Diagnose zu vermeiden“

Von Nadine Effert · 2023

Unerträglich schmerzhaft: So beschreiben Betroffene den Clusterkopfschmerz. Prof. Dr. med. Dagny Holle-Lee, Leiterin des Westdeut-schen Kopfschmerzzentrums des Universitätsklinikums Essen (AöR), erklärt, warum diese seltene Kopfschmerzart oft fehldiagnostiziert und daher nicht adäquat behandelt wird und was das Ziel einer laufenden Studie der Charité – Universitätsmedizin Berlin ist.

Portrait einer Frau mit weißem Hintergrund.
Prof. Dr. med. Dagny Holle-Lee

In Deutschland  sind laut Angaben der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft etwa 80.000 Menschen vom Clusterkopfschmerz betroffen. Was unterscheidet ihn zum Beispiel von Migräne?

Im Gegensatz zur Migräne tritt der Schmerz immer streng einseitig auf, häufig hinter dem Auge. Die Dauer der Attacken ist kürzer und liegt bei 15 bis 180 Minuten. Der Schmerz kann mehrfach am Tag in Erscheinung treten.  Während der Attacken kommt es auf der Kopfschmerzseite zu sogenannten trigeminoautonomen Symptomen wie Augentränen oder Naselaufen.

Bei wem treten Clusterkopfschmerzen vorwiegend auf? Und warum?

Der Anteil der Männer überwiegt, auch wenn nicht so stark wie einst angenommen. Eine genetische Veranlagung spielt sicherlich eine Rolle. Die genauen Ursachen sind jedoch noch ungeklärt, wobei eine Funktionsstörung des Hypothalamus eine Rolle spielt. Dieses Hirnareal gilt als Schaltzentrale für alle zyklischen Abläufe im Körper, wie etwa dem Schlaf-Wach-Rhythmus. Dies erklärt das episodische Auftreten des Clusterkopfschmerzes in sogenannten „bouts“: Betroffene haben über Wochen oder Monate Schmerzattacken, dann aber auch über längere Zeiträume gar keine.

Die psychische Belastung ist bestimmt enorm ...

Ja, schließlich gehört der Clusterkopfschmerz zu den stärksten möglichen Schmerzzuständen, und es können mehrere Attacken pro Tag oder Nacht auftreten. Für Betroffene bedeutet dies einen immensen Leidensdruck. Während einer Schmerzepisode sind viele kaum arbeitsfähig, auf lange Sicht können Erwerbsunfähigkeit und Depressionen die Folge sein, wenn der Clusterkopfschmerz nicht richtig behandelt wird.

Warum wird der Clusterkopfschmerz – trotz der Heftigkeit der Schmerzen – häufig nicht diagnostiziert?

Leider kennen noch zu wenige Ärzte die Diagnose. Oder Betroffene suchen gar keine Praxis auf, weil die Schmerzepisode schon wieder abgeklungen ist. Oft wird der Clusterkopfschmerz – vor allem bei Frauen – mit Migräne verwechselt. Es kann bis zu zehn Jahre dauern, bis die richtige Diagnose gestellt wird. Viele Betroffene diagnostizieren mittlerweile die Erkrankung durch Informationen im Internet selbst.

Was können Betroffene tun?

In der Therapie der Attacken können 100-prozentiger Sauerstoff über eine spezielle Gesichtsmaske und Migränemittel, sogenannte Triptane in Form von Nasensprays oder unter die Haut gespritzt, eingesetzt werden. Darüber hinaus lässt sich eine Clusterepisode oft mit Cortison, über einen Zeitraum von maximal 17 Tagen verabreicht, unterbrechen. Falls dieses allein nicht hilft, können verschiedene vorbeugende Wirkstoffe die Attacken unterdrücken – zum Beispiel sogenannte Calciumantagonisten, die auch zur Behandlung von Bluthochdruck eingesetzt werden.

Enorm von einer Prophylaxe profitieren würden auch Menschen mit chronischem Clusterkopfschmerz. Dabei steht der bei einigen Kopfschmerzarten wichtige Botenstoff CGRP und dessen Blockierung im Fokus ...

Richtig, vor ein paar Jahren gab es bereits Studien, die untersucht haben, ob CGRP-Antikörper auch beim Clusterkopfschmerz wirken können. Eine davon führte zur Zulassung des Präparats Galcanezumab, allerdings nur in den USA. Der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA genügte die Datenlage zur Wirksamkeit des Antikörpers nicht. Das soll nun die von der Charité in Berlin initiierte klinische, placebokontrollierte „CHERUB01“-Studie ändern, an der Patientinnen und Patienten mit chronischem Clusterkopfschmerz teilnehmen können. Es wäre wünschenswert, wenn zukünftig CGRP-Antikörper auch Cluster-Betroffenen in Deutschland zur Verfügung stehen würden.

„Es gilt, Verzögerungen bei der Diagnose zu vermeiden“
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Portrait einer Frau.
Andrea Sommer-Fackler

„Heute kann ich mit dem Clusterkopfschmerz leben“

Andrea Sommer-Fackler, 54, leidet unter chronischem Clusterkopfschmerz und leitet die regionale Clus-terkopfschmerz-Selbsthilfe-Gruppe (CSG) Allgäu für Betroffene und deren Angehörige.

Andrea Sommer-Fackler erinnert sich noch sehr gut an ihre erste Attacke. „Ich hatte so extreme Schmerzen, dass meine Eltern mich in die Notaufnahme brachten. Ernst genommen wurde ich allerdings nicht. Das läge nur an der hormonellen Umstellung, hieß es.“ Damals war sie 15 Jahre alt – die Diagnose Clusterkopfschmerz folgte erst mit Anfang 40 im Klinikum Großhadern. „Ich hatte alle ein bis zwei Jahre über mehre Wochen Attacken und viele Arztbesuche hinter mir. Der Hausarzt verschrieb Migräne-Mittel, der HNO-Arzt entfernte kleine Knöchelchen hinter dem Ohr, ein Kieferchirurg alle 34 Zähne. Doch die Schmerzattacken tauchten wieder auf. Die psychische Belastung war in dieser Zeit enorm.“

Besserung bedingt Wissen

Endlich zu wissen, was hinter ihren Schmerzen, die bei ihr vom rechten Hinterkopf aus bis ins rechte Auge ziehen und bis zu drei Stunden andauern, steckt, war eine riesige Erleichterung – genauso wie das Wissen, dass es Therapien für diese seltene, nicht heilbare Kopfschmerzart gibt. „Bei Attacken helfen mir Sauerstoff zum Inhalieren und Schmerzmittel-Injektionen. Zudem gibt es ein Prophylaxe-Medikament, durch welches zwar nicht die Schmerzintensität, jedoch die Häufigkeit der täglichen Attacken abnimmt.“ Auch wenn die Krankheit ihren Alltag sehr bestimmt – berufsfähig ist sie seit Jahren nicht mehr –, kann sie mit ihr leben. „Ich weiß jetzt einfach, wie ich mit ihr umzugehen habe“, sagt Andrea Sommer-Fackler zuversichtlich und rät anderen Betroffenen, sich frühzeitig an eines der 15 zertifizierten Clusterkopfschmerz-Kompetenzzentren oder an eine Facharztpraxis zu wenden.

Mehr Informationen

Ärzte-Liste und mehr Informationen zum Thema unter www.clusterkopf.de
(Hotline gebührenfrei 0800 111 444 888) oder www.dmkg.de

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