Geschichte der Genforschung

Zeitalter der Entdeckungen

Von Michael Gneuss und Katharina Lehmann · 2023

Wie alt können wir werden? Wie gesund werden wir altern? Welche Krankheiten, Gendefekte oder Veranlagungen schlummern in unseren Körpern? Und was können wir tun, um fehlerhafte Gene zu heilen? Antworten auf diese Fragen verspricht die Genforschung – doch sie steckt noch in den Kinderschuhen. Experten erhoffen sich von neuen Technologien nun aber eine Fülle neuer Erkenntnisse.

Modell einer DNA-Doppelhelix wird in einer Hand gehalten
DNA wird in der Medizin immer wichtiger. Foto: iStock / Natali_Mis

Dass auch unsere Gene einen Einfluss darauf haben können, wie alt wir werden, zeigen Forschungen der Molekularbiologin Almut Nebel vom Institut für Klinische Molekularbiologie (IKMB) an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU). Anhand von Genanalysen heute lebender Menschen, aber auch von 358 Datensätzen archäologisch gut datierter Skelette, die bis zu 12.000 Jahre alt sind, fand die Professorin heraus: „Den höchsten genetischen Beitrag zur Langlebigkeit haben Variationen im APOE-Gen.“ Das gilt insbesondere dann, wenn die Variante E2 vorliegt. Dagegen ist die Variante APOE-E4 mit einem sehr hohen Risiko für die Alzheimer-Erkrankung verbunden und kann folglich die Lebenserwartung verkürzen. Die Variante E3 verhält sich neutral in Hinsicht auf die Langlebigkeit. In Europa seien die Varianten recht ungleich verteilt, so nehme die Häufigkeit der ungünstigen Variante E4 von Norden (22 Prozent) nach Süden (sechs Prozent) hin ab. Auch die E2- und E3-Frequenzen variieren geografisch stark, wobei E3 in der Regel die häufigste (mindestens 70 Prozent) und E2 die seltenste Variante in einer Bevölkerung ist (maximal zwölf Prozent). „Wir konnten zeigen, dass die heutige Verteilung der Varianten in Europa vor allem durch zwei große Einwanderungen vor 7.500 und vor 4.800 Jahren und den anschließenden Vermischungen von Bevölkerungsgruppen entstanden ist“, berichtet Daniel Kolbe, der Mitglied von Nebels Arbeitsgruppe ist. „Die Unterschiede zwischen Nord- und Südeuropa können im Großen und Ganzen durch diese beiden demografischen Prozesse erklärt werden.“ Diese Erkenntnis ist neu, denn die verschiedenen Häufigkeiten der drei Genvarianten wurden bisher hauptsächlich auf natürliche Selektion zurückgeführt.

Geschichte der Genforschung: Neue Erkenntnisse

Neu ist überhaupt vieles in der Gen- und Gentherapieforschung. Das Zeitalter der Gentechnik ist erst 50 Jahre alt. Es begann mit einer Veröffentlichung der Arbeitsgruppe um den US-Biochemiker Paul Berg in der Fachzeitschrift „PNAS“. Darin beschreiben die Wissenschaftler erstmals eine genetische Manipulation. Das Team der Stanford-Universität hat drei Gene aus dem Bakterium Escherichia coli in das Erbmaterial von ausschließlich Bakterien befallenden Viren eingeschleust, deren Erbgut klein und überschaubar ist. Es folgten 1973 gentechnisch veränderte Bakterien und 1974 die erste Maus mit künstlich veränderten Erbanlagen. Gentechnik-Mäuse wurden bald zum Werkzeug in der Krebsforschung und bei der Medikamentenentwicklung. Pflanzen wurden erstmals 1983 gentechnisch verändert. Es sind jedoch nicht Viren oder Bakterien, auch nicht Mais oder Mäuse, die die öffentliche Debatte in den kommenden Jahren prägen sollten. Am 14. September 1990 erhielt die damals vierjährige Ashanti De Silva als erster Mensch eine gentechnische Behandlung. Das kleine Mädchen litt an einer Störung ihres Immunsystems, bei dem die Abwehrzellen nicht in der Lage sind, Krankheitserreger zu bekämpfen. Jede Infektion bedeutete Lebensgefahr. Verantwortlich dafür war ein genetischer Defekt, der jährlich weltweit bei etwa 15 Kindern auftritt. Ohne Behandlung müssen die kleinen Patienten vollständig von ihrer Umwelt abgeschirmt werden. Der Kinderarzt William French Anderson von der University of Southern California in Los Angeles wollte diese Krankheit durch eine Gentherapie heilen. Bei jeder Gentherapie ginge es darum, so Anderson, ein normales Gen in die Zellen einzuschleusen, um dort ein nicht normales oder schlechtes Gen zu ersetzen. Geklappt hat das bei Ashanti De Silva zwar nicht – die eingeschleusten Gene verschwanden nach und nach aus ihrem Körper –, trotzdem kann sie heute ein normales Leben führen. Dank eines regelmäßig injizierten Medikaments, das den Enzymmangel ausgleicht. Die Erwartungen, mithilfe der Gentherapie Erbkrankheiten, Krebs oder Immun- und Stoffwechselkrankheiten zu heilen, waren wohl anfangs zu hoch, kommentiert rückblickend Klaus Cichutek vom Paul-Ehrlich-Institut in Langen. Immer wieder sorgten Nebenwirkungen bei neu entwickelten Gentherapien für Rückschläge. 

Crispr/Cas schürt Hoffnung

Bis dann 2012 neue gentechnische Werkzeuge wie Crispr/Cas wiederum einen Boom der Gentherapie einläuteten. Mit Crispr/Cas lassen sich Gene im Körper einfacher und gezielter umschreiben als mit den Vorgänger-Methoden. Gentherapeuten wie Toni Cathomen von der Universitätsklinik Freiburg sehen darin einen neuen Hoffnungsträger. „Man muss da wirklich von einer Crispr-Revolution sprechen, weil sich diese Technologie so schnell verbreitet hat, dass eigentlich jedes Labor heutzutage sie einsetzen kann und auch genetische Veränderungen in ganz verschiedenen Organismen herbeiführen kann. Die Revolution ist voll im Gange. In ganz verschiedenen Bereichen hat Crispr/Cas Fuß gefasst.“

Grafik:Gen- und CAR-T-Zelltherapien: jährliche Zulassungen in der EU
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